Unter dem "Rheinischen Steinzeug" nimmt das Speicherer Steinzeug des Mittelalters und der Neuzeit eine Sonderstellung ein, allein schon deshalb, weil es in vielen maßgeblichen Publikationen zum Thema übersehen wurde und immer noch wird. Daß sich die Forschung denoch für die "Tonindustrie von Speicher und Umgebung" interessiert, zeigen der Katalog der Steinzeugsammlung im Rheinischen Landesmuseum Trier von Peter Seewaldt, die hervorragende Dissertation von Bärbel Kerkhoff-Hader mit dem Titel "Lebens- und Arbeitsformen der Töpfer in der Südwesteifel" und selbstverständlich der Sonderdruck aus dem Jahr 1923 von Siegfried Loeschcke "Tonindustrie von Speicher und Umgebung".
Die Entstehung der Zentren deutscher Steinzeugproduktion waren alle an gewisse Voraussetzungen geknüpft. Wichtigste derer war das Vorhandensein geeigneter Rohstoffvorkommen. Steinzeugtone zeichnen sich durch ein sehr breites Sinterintervall aus - dies ist der Temperaturbereich in dem der Scherben dichtbrennt ohne zusammenzuschmelzen. Die tertiären Tone von Speicher, bis zu 70 Millionen Jahre alt, können sogar als Natursteinzeugtone bezeichnet werden. Dies bedeutet, daß sie ohne Beimengungen anderer Tone und/oder Magerungsmittel wie Quarz für den Zweck bestens geeignet sind. Ein weiterer entscheidener Faktor ist die Entwicklung des Know-How's, der zum Steinzeugbrand erforderlichen Brenntechnologie, inclusive entsprechender Öfen. Hervorzuheben ist hier das Erreichen hoher Brenntemperaturen von über 1200°C und die Beherrschung der Ofenatmosphäre, d.h. die Regelung der Sauerstoffzufuhr, um der Flamme gezielt oxidierenden oder reduzierenden Charakter zu geben.
All diese Voraussetzungen waren für die Region der Speicherer Tonindustrie erfüllt, so daß der Entstehung eines Zentrums rheinischer Steinzeugproduktion nichts im Wege stand. Immerhin hatten ja bereits die Römer 400 Jahre lang bewiesen, daß Speicher sich als Töpferstandort eignet. Die Frage, ob oder warum keine fränkischen Töpfereien in der Südwesteifel entstanden sind, entzieht sich dem Kenntnisstand heutiger Forschung:
... So ist etwa auch die Rolle des in der Südwesteifel gelegenen Töpferdorfes Speicher und seiner Nachbarorte noch weitgehend unbestimmt, ... Eine grundlegende grabungstechnische Untersuchung der Öfen und Scherbenlager der traditionsreichen, vom Spätmittelalter bis in das neunzehnte Jahrhundert florierenden Speicherer Töpferregion steht, mit Ausnahme der römischen Befunde, noch aus. [Seewaldt,P., Rheinisches Steinzeug]
Die Wiederaufnahme der Töpfereiaktivitäten wird heute im ausgehenden 12. Jahrhundert vermutet. Erstmalig wurden Speicherer Töpfer 1293 urkundlich erwähnt. 1485 schlossen sich die Krugbäcker von Speicher, Binsfeld und Herforst zur sogenannten "Eulner Bruderschaft" zusammen. Diese drei Ortschaften, an den begehrten Tonvorkommen gelegen, gelten als Kern des mittelalterlichen Töpfereiwesens in der Südwesteifel. Später, in der Neuzeit, kamen die Orte Niersbach, Bruch, und Zemmer hinzu.
Aus den oben aufgeführten Voraussetzungen zur Steinzeugproduktion ergibt sich die Charakterisierung der Ware. Steinzeug wird im allgemeinen definiert als ein keramisches Erzeugnis mit nicht durchscheinendem, dichtem, verglastem, braunem bis hellem Scherben hoher mechanischer Festigkeit und weitgehender Widerstandsfähigkeit gegen Säuren und Laugen. Bis zur Erlangung dieser genialen Produkteigenschaften war es allerdings ein weiter Weg, der über das sogenannte Frühsteinzeug führte. Die Intention zur Entwicklung dieses Produktes liegt auf der Hand: Der Wunsch nach Erhöhung von Dichtigkeit und Festigkeit verbesserte die Eignung und Haltbarkeit im alltäglichen Gebrauch. Insbesondere die chemische Beständigkeit der Ware machte eine geschmacksneutrale Aufbewahrung von Lebensmitteln erst möglich.
Wie bereits erwähnt, kann Töpferware erst ab einer gewissen Sinterdichte als Steinzeug bezeichnet werden. Da bisher nur wenig Forschung zu den mittelalterlichen Töpfereien in und um Speicher betrieben wurde, ist es schwierig, deren Funde zeitlich einzuordnen. Funde, vor 1300 datiert, werden dem Frühsteinzeug zugerechnet.
Demnach lernten die Speicherer Krugbäcker im 14. Jahrhundert, ihre Öfen auf so hohe Temperaturen zu feuern, daß sich ein hell klingender Scherben gebildet hat. Anscheinend wurden auch schon erste Versuche mit Salz- und/oder Ascheanflugglasuren unternommen. Ob die, lediglich partiell an Gefäßen sichtbare "Salzglasur" zufälliger Natur war oder gewollt mit dem Steinzeugscherben reagierte, kann für Speicher des frühen 14. Jahrhunderts nur vermutet werden. In jedem Fall wird der Töpfer diesen Effekt freudig registriert und weitere Versuche in dieser Richtung durchgeführt haben. Schon bei Erzeugnissen des ausgehenden 14. Jahrhunderts sind vollflächige Salzglasuren zu finden (Seewald, P., Katalog-Nr. 106).
In der Regel war die mittelalterliche Ware getaucht, d.h. mit einer Engobe überzogen, ganz oder teilweise nur die obere Hälfte mit sichtbaren Laufnasen. Engoben sind wäßrige Aufschlämmung von Tonen oder anderen färbenden Mineralien. Nachdem der Scherben in die Engobe getaucht oder mit ihr übergossen worden ist, überzieht ihn eine dünne Schicht, die dem Scherben nach dem Brand die gewünschte Färbung verleiht. Je nach Rezeptur (Wahl der Rohstoffe), Feinheit und Auftragsstärke, konnten die mittelalterlichen Töpfer die Wirkung der Engobe in Glanz und Farbe beeinflussen. Die Farbe wurde maßgeblich von den färbenden Oxiden in den Rohstoffen bestimmt. Da augenscheinlich eisenhaltige Tone die Basis der Engoben bildeten, konnte die Farbgebung von rot über rotbraun bis hin zum schwarz variieren. Glanz und Dichte der Engobe wurde bestimmt durch Anteil und Art der Flußmittel und der Brenntemperatur. Lokale Rohstoffe wie stark eisenhaltiger Lehm, Kalk, Schiefer, Basalt, dürften zur Bereitung der Engobe benutzt worden sein, eventuell auch beim Ofenbrand anfallende kalkreiche Holzaschen.
Die Speicherer Ware setzt sich durch eine angenehme Schlichtheit von der anderer Steinzeugzentren ab, auch wenn die Gestaltungsmerkmale zeittypisch sind. Loeschcke spricht hier von einem ausgeprägten Empfinden für Formschönheit. Typisch für die Speicherer Ware sind der im Profil spitze, fast scharfkantige Lippenrand, breite, griffige Henkel, die oben an der Lippe ansetzen, spiralförmige Drehrillen und ein ausladender Wellenfuß. Die weit oben ansetzenden Henkel mögen günstig für Lagerung und Transport der Gefäße gewesen sein, da sie beim Tragen weniger kippen. Erstaunlich ist, wie dünn die Wandung gezogen worden ist und somit die Leichtigkeit der Gefäße. Auch römische Ware ist sehr dünnwandig, aber im Gegensatz zur mittelalterlichen, ist die Wandung erst nachträglich im lederharten Zustand auf das dünne Maß abgedreht worden. Dies verdeutlicht, daß die Speicherer Töpfer im Mittelalter ihren römischen Vorgängern handwerklich keineswegs unterlegen waren.
Auch wenn die Töpferware größtenteils für den robusten Gebrauch bestimmt war, so zeigen die Dekore, daß die Töpfer der Südwesteifel bestrebt waren, ihren Gefäßen ein gefälliges Äusseres mitzugeben. Interessant ist hier die Entwicklung der Speicherer Ware im Vergleich zu den großen Töpfereizentren wie Köln, Siegburg, Raeren und dem Westerwald.
Ab der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts waren deren Gefäße mit markanten Reliefauflagen verziert. Im abgelegenen Speicher dagegen blieb man hinter diesem Modetrend weit zurück. Die Speicherer Töpfer entwickelten ihren eigenen Stil, perfektionierten sogar die mittelalterliche Gefäßform des 15. Jahrhunderts bis ins 18. Jahrhundert hinein. Erst mit der Zuwanderung fremder Krugbäcker, vornehmlich aus dem Westerwald, kommt es zu einem markanten Stilbruch. Der reduzierend gebrannte, blau-graue Salzbrand mit blauer Kobaltbemalung wird adaptiert. Aber auch hier bleiben die Töpfer der Südwesteifel bei ihrem Grundsatz der Schlichtheit. Auf Reliefauflagen wird zumeist verzichtet, lediglich Ritzmotive oder auch nur schwungvolle, flüchtige Pinselsbemalung mit Kobaltblau wird angewandt. (mjp)